Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz in einem Bürogebäude vor Einführung der EnEV 2002
Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz in einem Bürogebäude vor Einführung der EnEV 2002
sommerlicher Wärmeschutz
Gutachten
Unterföhring
Das begutachtete Bürogebäude besteht aus mehreren, in Massivbauweise (Betonbauweise) errichteten Kernbereichen mit normalen Fenstergrößen und Bereichen deren Fassaden praktisch komplett verglast sind („Pavillions“). Im gesamten Gebäude ist eine Kühlanlage eingebaut. Als Sonnenschutz befindet sich an jedem Fenster eine automatisch gesteuerte, außen liegende Jalousie. Das Gebäude war nach rechtlichen Vorgaben nach den anerkannten Regeln der Technik aus dem Jahr 1999 zu bewerten.
Aufgabenstellung
In dem Bürogebäude wurden im Sommer Innentemperaturen über 28 °C festgestellt. Der sommerliche Wärmeschutz des Gebäudes soll überprüft werden.
Feststellungen
Zur Feststellung der Temperaturen vor Ort wurden in verschiedenen Räumen mehrere Datenlogger innen wie außen angebracht, die die Temperaturen und die relativen Luftfeuchtigkeiten über einen längeren Zeitraum von mehreren Wochen aufzeichneten.
Auswertung
Zu den Anforderungen der Wärmeschutzverordnung und EnEV
Grundsätzlich muss ein Gebäude zum Zeitpunkt der Abnahme den dann geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik (aRdT) entsprechen. Die Abnahme für das streitgegenständliche Gebäude erfolgte im September 2002, so dass eigentlich zu diesem Zeitpunkt die Energieeinspar-Verordnung (EnEV) vom 16.11.2001 („EnEV 2002“) gültig war. Die EnEV fordert die Einhaltung eines „Sonneneintragskennwerts“ und verweist für die Berechnung dieses Sonneneintragskennwertes auf die anerkannten Regeln der Technik, also auf die damals gültige DIN 4108-2:2001-03. „Als höchstzulässige Sonneneintragskennwerte nach § 3 Abs. 4 sind die in DIN 4108-2:2001-03 Abschnitt 8 festgelegten Werte einzuhalten. Der Sonneneintragskennwert des zu errichtenden Gebäudes ist nach dem dort genannten Verfahren unter § 13, Abschnitt 2.9.1 zu bestimmen.“ In dieser Norm wird erstmals das Berechnungsverfahren für den von der EnEV 2002 geforderten Sonneneintragskennwert angegeben. Eine Berechnung des Sonneneintragskennwerts gemäß der EnEV 2002 war jedoch zum Zeitpunkt der Planung des Gebäudes und zum Zeitpunkt der Vertragserstellung (Dezember 1999) nicht vorgesehen bzw. aufgrund fehlender Berechnungsmethodik nicht möglich.
Für den Zeitpunkt Dezember 1999 waren nur die Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz der DIN 4108-2:1981-08 „Wärmeschutz im Hochbau. Wärmedämmung und Wärmespeicherung; Anforderungen und Hinweise für Planung und Ausführung“ und die Anforderungen der Wärmeschutzverordnung 1995 heranzuziehen. Die DIN 4108-2:1981-08 enthält dabei lediglich in Abschnitt 7 „Empfehlungen für den Wärmeschutz im Sommer (Gebäude, für die raumlufttechnische Anlagen nicht erforderlich sind)“. Diese Anforderungen sind im Vergleich zu den späteren Anforderungen deutlich einfacher und pauschaler gehalten und lassen nur äußerst eingeschränkt eine Prognose der sich in einem nach diesen Richtlinien geplanten Gebäude einstellenden Raumlufttemperaturen zu. Im Jahr 1981 war die heute bekannte Problematik der möglichen Überhitzung von Gebäuden mit großflächig verglasten Fassaden noch nicht ausreichend thematisiert, da solche Gebäude damals auch nur vergleichsweise selten realisiert wurden. Für den Fall, dass raumlufttechnische Anlagen vorhanden sind, finden sich also lediglich in der Wärmeschutzverordnung 1995 folgende Anforderungen:
- Wärmeschutzverordnung 1995 für Gebäude mit raumlufttechnischen Anlagen, Abschnitt 5 „Begrenzung des Energiedurchlassganges bei großen Fensterflächen (sommerlicher Wärmeschutz)“: Hier wird für Gebäude mit raumlufttechnischen Anlagen mit Kühlung und für andere Gebäude nach Abschnitt 1 [„Zu errichtende Gebäude mit normalen Innentemperaturen“] mit einem Fensterflächenanteil je zugehöriger Fassade von 50 vom Hundert oder mehr ein maximales Produkt (gF * f) aus Gesamtenergiedurchlassgrad gF (einschließlich zusätzlicher Sonnenschutzeinrichtung) und Fensterflächenanteil f unter Berücksichtigung ausreichender Belichtungsverhältnisse von 0,25 gefordert. Diese Forderung gilt für jede einzelne Fassade.
- „Werden zur Erfüllung der Anforderungen Sonnenschutzvorrichtungen verwendet, sind diese mindestens teilweise beweglich anzuordnen. Hierbei muss durch den beweglichen Anteil des Sonnenschutzes ein Abminderungsfaktor z von kleiner oder gleich 0,5 erreicht werden. Die Berechnung der Werte (gF * f) erfolgt nach allgemein anerkannten Regeln der Technik.“
Die maßgebliche Anforderung der Wärmeschutzverordnung 1995 für Gebäude mit raumlufttechnischen Anlagen wird an allen Fassaden eingehalten, der geforderte gF * f -Wert von maximal 0,25 wird nicht überschritten.
Zu den Anforderungen an die Innentemperatur:
Die Anforderungen an die Innentemperatur im Zusammenhang mit dem sommerlichen Wärmeschutz waren im Dezember 1999 zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und sind bis heute umstritten. Im Folgenden werden verschiedene Ansätze dargestellt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei jedoch nicht um eine technische Frage, sondern um eine physiologische beziehungsweise arbeitsrechtliche Frage.
In der Arbeitsstättenverordnung vom 20. März 1975 (zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Dezember 1996) wird unter Punkt 2.4 ausgeführt: „Die Raumtemperatur in Arbeitsräumen soll + 26 °C nicht überschreiten; Arbeitsräume mit Hitzearbeitsplätzen sind ausgenommen.“ Außerdem wird unter § 6 Raumtemperaturen gefordert: „Bereiche von Arbeitsplätzen, die unter starker Hitzeinwirkung stehen, müssen im Rahmen des betrieblich Möglichen auf eine zuträgliche Temperatur gekühlt werden.“
Rouvel und Deutscher führen in ihrem Artikel „Sommerlicher Wärmeschutz“ im Bauphysik Kalender 2002 in Teil C 4, Seite 561f. an: „In DIN 1946 Teil 2 wird bei üblichen Außentemperaturen eine zulässige operative Raumtemperatur von 25 °C als oberste Grenze genannt. Kurzzeitig darf die operative Raumtemperatur, wenn die Außentemperatur größer als 26 °C ist, bis auf 27 °C steigen. Im Entwurf der DIN 1946 (1991) wurde eine zulässige Überschreitung der Grenztemperatur für maximal 10 % der Aufenthaltszeit als tolerierbar bezeichnet. Daraus kann als Bedingung zur Gewährleistung des sommerlichen Wärmeschutzes postuliert werden: Ein Gebäude hat die Vorgaben des sommerlichen Wärmeschutzes erfüllt, wenn durch geeignete Berechnungsverfahren nachgewiesen wird, dass die Häufigkeit der Überschreitung einer Grenz-Raumtemperatur TGRENZ niedriger ist als 10 % der Aufenthaltszeit:
h TGRENZ ≤ 10 %
h TGRENZ Häufigkeit der Überschreitung der Grenz-Raumtemperatur TGRENZ“
Des Weiteren geben Rouvel und Deutscher in ihrem Artikel an, dass in Räumen, die gekühlt werden, die zulässige Grenz-Raumtemperatur geringer als die für nur beheizte Räume sein sollte. „In Anlehnung an Kolmetz („Thermische Bewertung von Gebäuden unter sommerlichen Randbedingungen – Ein vereinfachtes Verfahren zur Ermittlung von Raumtemperaturen in Gebäuden im Sommer und deren Häufigkeit“, Dissertation Universität Gesamthochschule Kassel, 1996, Abschnitt 4.1, Seite 56), wird daher für Gebäude mit Raumkühlung das einzuhaltende Behaglichkeitskriterium zu
TGRENZ = 25 °C
h TGRENZ ≤ 10 %
definiert.“
Rouvel und Deutscher geben weiter an: „Ein weiteres Bewertungskriterium für den sommerlichen Wärmeschutz sollte für Gebäude mit Raumkühlung der zulässige Maximalwert der Raumtemperatur sein […] Nach DIN 1946-2:1994-01 ist bei Gebäuden mit Raumkühlung ein Anstieg der Innentemperatur bis auf 27 °C zulässig, wenn die Außentemperatur 32 °C erreicht. (siehe Bild 1 der DIN 1946-2:1994-01). Nach Petzold, K. (Raumlufttemperaturen. Berlin: VEB-Verlag, 1983) darf bei hohen inneren Lasten die Raumlufttemperatur 28 °C erreichen. Zusammenfassend lassen sich unter Berücksichtigung der vorgenannten Faktoren zwei Grenzkriterien für Gebäude mit Raumkühlung formulieren:
- die Häufigkeit der Überschreitung von 25 °C in einem Raum darf während der Aufenthaltszeit maximal 10 % betragen
- die zulässige Höchsttemperatur während der Aufenthaltszeit beträgt 28 °C.“
Auch die Gerichte legen keine einheitlichen Maßstäbe an. So urteilte das OLG Hamm (30 U 131/06, Urteil vom 28.02.2009), dass die Raumtemperatur in einem als Spielsalon genutzten Mietobjekt 26 °C nicht überschreiten dürfe, es sei denn, draußen herrschen Temperaturen von mehr als 32 Grad. Das OLG Frankfurt (2 U 106/06, Urteil vom 19.01.2007) vertrat hingegen die Auffassung, dass zumindest bei nicht klimatisierten Räumen ein Ansteigen der Temperatur auf über 26 °C ein bekanntes allgemeines Lebensrisiko darstelle. Sommerliche Hitze begründe die Mangelhaftigkeit von unklimatisierten Räumen nicht. Aus der Arbeitsstättenverordnung folge nichts anderes, denn sie richte sich nicht an den Vermieter, sondern an den Mieter als Arbeitgeber. Abgesehen davon habe der Wert von 26 Grad Celsius nur empfehlenden Charakter.
Aufgrund der fehlenden klaren Regelung für die Temperaturhöchstwerte, wurden die Ergebnisse der durchgeführten Temperaturmessungen für dieses Gutachten wie folgt ausgewertet: Für jeden Raum werden im Messzeitraum die Überschreitungen von 25 °C, 26 °C und 28 °C sowie die Dauer der Überschreitung (in % der Aufenthaltszeit) festgehalten. In einer Auswertung wurde die Dauer der Überschreitungen hinsichtlich der Aufenthaltszeit zu den normalen Bürozeiten ausgewertet. Dieses Verfahren wurde in Anlehnung an die Dissertation von Kolmetz (siehe Anhang E, Beispiel 2) durchgeführt: „Bei der Beurteilung eines Gebäudes hinsichtlich des thermischen Verhaltens im Sommer ist in der Regel nicht die Gesamtzeit von 8.760 Stunden entscheidend, sondern die tatsächliche Aufenthaltszeit der Nutzer gibt den Ausschlag, ob die Häufigkeit bestimmter Raumtemperaturen akzeptabel sind oder nicht. […] In Bürogebäuden kann im Allgemeinen von einer Aufenthaltszeit von ca. 1.750 Stunden ausgegangen werden, die sich aus einer durchschnittlichen Arbeitsdauer von 8 h pro Werktag und unter Berücksichtigung der Wochenenden, der Feiertage und des Jahresurlaubs (30 Tage) ergeben.“
Die Messungen der Raumlufttemperaturen ergaben deutliche Überschreitungen der Raumlufttemperatur von 25 °C in allen Räumen über längere Zeiträume. Welche Grenztemperatur jedoch tatsächlich für eine Beurteilung herangezogen werden muss, war eine Frage, die durch das Gericht geklärt werden musste.
Zu berücksichtigen ist, dass die Innentemperaturen auch stark vom Nutzerverhalten (Lüftungsverhalten, Bedienung der Sonnenschutzvorrichtungen) abhängig sind. Des Weiteren könnten die hohen Temperaturen auch von einer nicht ausreichend dimensionierten bzw. nicht ausreichend funktionsfähigen Klimaanlage verursacht sein. Zur Klärung dieser Frage wurde im späteren Verlauf dieses Gerichtsverfahrens ein Sachverständiger Beirat für Klimatechnik hinzugezogen.
Zusammenfassung
Insgesamt war davon auszugehen, dass die hohen gemessenen Raumlufttemperaturen nicht auf die Bausubstanz, insbesondere nicht auf die eingesetzte Verglasung, zurückzuführen waren. Mögliche Ursachen waren vielmehr das Nutzerverhalten und/oder die mangelhafte Klimaanlage bzw. eine unzweckmäßige Einstellung/Bedienung der Klimaanlage.
<!08.030.1 ER OK 03.03.2016>